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Ein Zeichen und seine Adressaten

Zur Wirkungsgeschichte des Pfarrers Oskar Brüsewitz

Manuskript 1993, unveröffentlicht.
von Ulrich Schröter und Karl-Adolf Zech

In einem Vortrag zur Frage "Wie stelle ich mir die Christen vor?" Mitte der sechziger Jahre sagte der Herausgeber des SPIEGEL, Rudolf Augstein, die Kirche sollte Wächter sein auf der Mauer, aber sie nenne keine Namen mehr.

Einer, der Namen nannte, war Oskar Brüsewitz, Schuhmachermeister und Pfarrer. Weltweit bekannt wurde er durch seine spektakulärste Namensnennung, seine Selbstverbrennung am 18. August 1976 vor der Michaeliskirche in Zeitz. Er wollte mit dieser Tat ein Zeichen aufrichten gegen "die Unterdrückung der Jugend" durch den Kommunismus. Die Kirche verstand das aber auch als Anfrage an sich selbst: "Nennt Ihr noch deutlich Namen?" Den Namen des Jesus von Nazareth, in dessen Namen ihr angetreten seid, und die Namen derer, die Lüge und Macht vereinen?

In seiner Kritik "Kirche - nicht gefragt"1 beklagte Heinrich Giesen die Gemütlichkeit des westdeutschen Kirchenbetriebes, der sich nicht mehr stören lassen wolle und selbst keine Störung fragwürdiger Zustände mehr sei. Mitreißend stellt er den Christen vor Augen, dass sie den Todestag des Märtyrers Dietrich Bonhoeffer "in Sesseln" gefeiert hätten, anstatt wie dieser "mitzubrennen" - und dass Verbrennungsszenen den Buddhisten überlassen würden.

Diese aufrüttelnde Predigt kursierte anfang der siebziger Jahre in der Umgebung von Brüsewitz. Nach ihrer Lektüre versteht man Brüsewitz´ Anliegen besser.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1 Heinrich Giesen: "Kirche - nicht gefragt."  Oekumenischer Verlag Dr. R.F. Edel. Marburg a.d.Lahn 1966

 

Damals jedoch, als auf dem Markt wirklich ein Feuer brannte, waren Bestürzung und Verwirrung groß. Zwar gab es sehr bald Deutungen, Bewertungen politischer und theologischer Art. Die Diskussion dauert noch heute an.

Jahrelang hatte es Konflikte mit diesem kantigen Menschen gegeben. Der Soziologe Thomas Frickel führt dem heutigen Zuschauer in seinem Dokumentarfilm "Der Störenfried" sehr einfühlsam und kritisch diese komplizierte Persönlichkeit und seine Umwelt vor Augen.2

 

   

2 Thomas Frickel: "Der Störenfried - Ermittlungen zu Oskar Brüsewitz".
Dokumentarfilm 1992 (Film des Monats Dezember des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik e.V.; Bundesfilmpreis 1993). Der Film kann ausgeliehen werden über: Frank Thöne, (0561) 71 08 70, Fax (0561) 188 34.

 

Es gab Konflikte mit Verantwortlichen aus der Kirche, weil er alles schonungslos in den Verkündigungsdienst, wie er ihn verstand, stellte. Nicht nur an sich selbst verübte er Raubbau, auch seine Familie war voll in den Dienst gestellt, der oft voller Überraschungen war, brachte er doch plötzlich eine Baubrigade ins Pfarrhaus, für die in aller Eile ein großzügiger Schmaus herzurichten war. Ein andermal war es eine Reisegruppe, die er geschickt in seinen Garten umlenkte. Auch die Technik wurde nicht geschont. Allein wegen der überdimensionalen Reparaturkosten an seinem Trabbi rauften sich die Finanzverantwortlichen des Kirchenkreises die Haare. Es gab Konflikte mit den Gemeindegliedern, denen seine Forderung nach dem kompromisslosen, geraden Weg als lebensfremd und angstauslösend erschien. Zuhörer seiner aufmüpfigen Predigten fühlten sich beobachtet - mitgegangen mitgehangen. Es kam zu Kirchenaustritten. Auch das führte zu einem ständigen Gesprächsbedarf der Kirchenleitung. Eine Visitation sollte Klärung bringen.

Brüsewitz war im Umgang mit Symbolen sehr kreativ und traf oft den Nerv. An Predigten mit einem Telefon in der Hand, einer Kette um den Hals, einem Tier im Arm erinnern sich die Leute noch heute, nicht immer zustimmend. Berühmt ist seine Fahrt mit dem Pferdefuhrwerk nach Zeitz und einem Transparent: "Ohne Regen, ohne Gott geht die ganze Welt bankrott", eine zumindest meteorologisch sinnvollere Losung als die der SED: "Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein". Bibelworte wie: "Die auf Gott vertrauen, erhalten neue Kraft" setzte er SED-Losungen entgegen. Er wusste, dass ein einfacher Bibelspruch "an den Festen des Systems" zu rütteln vermochte. Gegen die roten Sterne auf den sozialistischen Betrieben setzte er ein Neon-Leuchtkreuz an seinem Kirchturm, das nachts meilenweit Autofahrer daran erinnerte, dass die SED doch nicht so allmächtig ist.

Mit solchen öffentlichkeitswirksamen Aktionen war die Machtfrage gestellt, der Konflikt mit der SED und ihren staatlichen Organen eskalierte.

Nun ist es keinesfalls so, dass er unter den Pfarrern keine Freunde und Sympathisanten gehabt hätte. Aber nicht jeder konnte oder wollte seinen provozierenden Verkündigungsstil unterstützen. Die Leiter der Kirche wurden durch die staatlichen Stellen mehr und mehr gedrängt, Brüsewitz zu entschärfen. Wenn das nicht erfolge, so wurde gedroht, müsse das Gesundheitswesen eingeschaltet werden. Anonyme Briefeschreiber forderten in einer scheinchristlichen Sprache dazu auf, sie von dem "Übel Brüsewitz zu erlösen".

Die Kirchenleitung bemühte sich, Brüsewitz einen neuen Anfang in einer anderen Gemeinde zu vermitteln. Im Juli 1976 führte Propst Bäumer mit ihm und seiner Frau ein Gespräch, bei dem Bäumer das Drängen staatlicher Stellen nicht verheimlichte. Brüsewitz nahm den Vorschlag eines Ortswechsels an. Später hat ihn jedoch dieser Gedanke stark beunruhigt. Für ihn war eine solche Lösung ein "Rückzug vor dem Feind".

Die Kirchenleitung in Magdeburg befand sich in den ersten Tagen nach der Selbstverbrennung in einer schwierigen Lage. Wie ist die Tat aus christlicher Sicht zu bewerten? Aus seelsorgerlichen Gründen sollte vermieden werden, dass sie Nachahmer fand. Andererseits reagierten Staat und Partei panisch. Die Akten belegen den Druck, dem die Verantwortlichen der Kirchen ausgesetzt waren. Sie sollten sich von Brüsewitz distanzieren, ihn für verrückt erklären, den Vorgang geheim halten. Weigerten sie sich, war zu bedenken: Durften sie eine Verschlechterung der staatlichen Kirchenpolitik in Richtung CSSR-Verhältnisse riskieren? Schadeten deutliche öffentliche Worte dem beginnenden KSZE-Prozeß? Die Unsicherheit war groß.

Die ersten Verlautbarungen waren zurückhaltend, die Westmedien wurden schlecht bedient. Allerdings distanzierte man sich nie von dem "Bruder Oskar Brüsewitz". Innerkirchlich brach eine in ihrer Wirkung weit-reichende Diskussion los, zu der auch ein diffamierender Beitrag der SED-Presse beitrug. Sehr deutlich war der "Brief an die Gemeinden" des DDR-Kirchenbundes vom 11.9.76., der Mängel im Lande öffentlich benennt. Honecker kennzeichnete ihn als einen "der größten konterrevolutionären Akte gegen die DDR". Jeder gelernte DDR-Bürger weiß, wie das zu lesen ist.

Mitte September schätzte der Rat des Bezirkes Halle das Verhalten der Kirchenleitung folgendermaßen ein: "Zuerst war die Leitung der Kirche der Kirchenprovinz Sachsen schockiert, dann hat sie laviert, dann hat sie sich gegen uns gewandt."

 

   
 

Kürzlich gab die Kirchenleitung in Magdeburg eine ausführliche Dokumentation über diese Vorgänge heraus, die kircheninterne, staatliche sowie SED-Unterlagen nebeneinander stellt und Zeitzeugen sprechen läßt3. Kurz zuvor präsentierte die Abteilung "Bildung und Forschung" der Gauckbehörde eine Studie des Politologen Müller-Enbergs4 . Diese Studie stützt sich fast ausschließlich auf SED- und MfS-Akten der "Schock- und Lavierphase". Sie gibt dadurch dem schnellen Leser Stoff, das Bild einer devoten, angepassten Kirche abzuleiten, die den staatlichen Erwartungshaltungen voll entsprochen hat. Beide Veröffentlichungen wie auch das gerade erschienen Buch "Das Fanal"5 bedürfen der gegenseitigen Ergänzung, um zu einer perspektivisch vielseitigen Gesamtschau zu kommen. Denn es ist deutlich: Die MfS- und SED-Papiere weisen hin auf eine stabsmäßige Strategie gegen Brüsewitz, die kirchliche Stellen einzubeziehen und zu manipulieren suchte. Die kirchlichen wie auch einige SED- und MfS-Dokumente belegen, wie eigenständig - und unter Zögern, dann aber doch entschlossen - kirchlicherseits eine beachtenswerte Selbstkritik geübt, aber auch öffentlichkeitswirksamer Widerstand gewagt wurde.

 

 

3 Harald Schultze (Hsg.): "Das Signal von Zeitz. Reaktionen der Kirche, des Staates und der Medien auf die Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz 1976. Eine Dokumentation". Evangelische Verlagsanstalt Leipzig  1993.

4 Helmut Müller-Enbergs: "Das Zusammenspiel von Staatsicherheitsdienst und SED nach der Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz aus Rippicha am 18. August 1976. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Abteilung Bildung und Forschung. Analysen und Berichte. Reihe B Nr. 2/93.

5 Helmut Müller-Enbergs, Heike Schmoll, Wolfgang Stock (Hsg.): "Das Fanal. Das Opfer des Pfarrer Brüsewitz und die evangelische Kirche". Ullstein Verlag Berlin. 1993

 

 

Lebenslauf Oskar Brüsewitz

Geboren am 30. Mai 1929 in Litauen, gerät in die Kriegswirren, Kriegsgefangenschaft, 1945 entlassen, findet seine Familie in Mittweida, lernt dort Schumacher, zieht in die Bundesrepublik, 1955 nach Leipzig und arbeitet in seinem Beruf, zweite Heirat 1955, legt die Meisterprüfung ab, übernimmt einen Schuhbetrieb, wirbt für die christliche Botschaft, tritt öffentlich gegen Verleumdungen von Mitmenschen auf und wird zum Operativen Vorgang "Sekten" der Stasi,

zieht später nach Weißensee/Thür., wo er zum "Vorlauf Operativ" wird und durch geistreiche Öffentlichkeitsarbeit auffällt.
1964 bis 1969 Predigerschule Erfurt, ab 1969 Pfarrer in Rippicha und Umgebung im Kreis Zeitz.

Erregt dort wieder Aufmerksamkeit durch originelle Arbeitsmethoden, gerät zunehmend in Konflikt mit staatlichen Stellen, spricht unter Freunden von einem 3-Schritte-Plan, holt Anfang 1976 Erkundigungen ein über Selbstverbrennung.

18.8.76 Selbstverbrennung, Tod am 22.8., Beerdigung 26.8.76.

 

   
 

 

Über die Autoren:

Dr. Ulrich Schröter ist tätig als Oberkonsitorialrat in Berlin, Koautor von David Gill / Ulrich Schröter: "Das Ministerium für Staatsicherheit. Anatomie des Mielke-Imperiums". Rowolt Berlin 1991, sowie Mitherausgeber der Zeitschrift "Zwiegespräch - Beiträge zur Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit".

Dr. Karl-Adolf Zech ist Mitglied der Kreissynode Berlin-Prenzlauer Berg. Er ist Mathematiker und tätig als Entwicklungsingenieur

 

   

 

 

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