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Fernschreiben-Telegramm des Generalsekretärs des ZK der SED,
Erich Honecker, an die Ersten Sekretäre der SED-Bezirksleitungen;
an FS-Zentrale übergeben am 15. 9.1976.

Diese Vertrauliche Verschlusssache wurde am 16. 9. 1976 an die 1. Sekretäre der Kreisleitungen der SED wortgleich weitergeleitet - bis auf die Weitergabeaufforderung. Der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle, Werner Felfe, fügte diesem Text bei: «Unser Standpunkt ist ersichtlich. Wir bitten Euch, uns über besondere Vorkommnisse in diesem Zusammenhang schnell zu informieren.«

Liebe Genossen!

Am 11. September 1976 fand in Berlin eine Konferenz der Evangelischen Kirchenleitung in der Deutschen Demokratischen Republik statt. Im Verlaufe der Konferenz wurde durch die Mehrheit der Teilnehmer, trotz des Einspruchs einer Reihe Mitglieder der Konferenz, ein provokatorischer Brief an die Gemeinden angenommen. Dieser Brief wurde umgehend an die Leitung der Evangelischen Kirche der Bundesrepublik Deutschland und an ADN mit einer Sperrfrist bis zum 19. 9. 1976, 12.00 Uhr, gegeben.

Mit der Annahme des Briefes haben sich die negativen Kräfte in der Konferenz durchgesetzt. Der Fall Brüsewitz, der nur zum äußeren Anlaß für die Annahme des Briefes genommen wurde, enthält Verleumdungen gegen die gesellschaftliche Ordnung in der DDR und grobe Entstellungen der gesellschaftlichen Entwicklung, insbesondere hinsichtlich des Inhaltes des sozialistischen Bildungswesens.

Vorhandene Spannungen innerhalb der Kirche werden mit der Absicht vertuscht, den Hauptstoß gegen die DDR zu führen. Damit soll der Entwicklung eines normalen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche entgegengewirkt werden. Eine Reihe Teilnehmer der Konferenz erhoben grundsätzliche Bedenken gegen den Brief, da aus ihm durchaus provokatorische Absichten gegen den Staat abgeleitet werden können.

Die Hauptsprecher für den konterrevolutionären Inhalt dieses Briefes erklärten, daß man über existierende Spannungen zwischen Staat und Kirche nicht einfach hinwegdiskutieren könne. Der Vorschlag eines Bischofs, auf den Brief zu verzichten und stattdessen zur Westpresse Stellung zu nehmen, wurde von der Mehrheit abgelehnt. An der letzten Fassung des Briefes arbeitete der Bischof Hempel aus Dresden maßgeblich mit. Er wurde nach der Abstimmung sofort vervielfältigt und den Teilnehmern ausgehändigt.

Wir bitten, die 1. Kreissekretäre in entsprechender Form über den Inhalt des Briefes zu informieren und ihnen unsere Einschätzung mitzuteilen. Es handelt sich hierbei, wie gesagt, um einen der größten konterrevolutionären Akte gegen die DDR. Wir halten es jedoch nicht für zweckmäßig, vor den Wahlen offiziell gegen den Brief Stellung zu nehmen.

Wir werden jedoch zu gegebener Zeit die erforderlichen Schlußfolgerungen ziehen. Wichtig ist, mit den positiven Kräften der Evangelischen Kirche zu arbeiten und in Verbindung mit dem Wahlaufruf der Nationalen Front der DDR zu den Volkswahlen am 17. Oktober 1976 klarzustellen, daß in der DDR niemand wegen seines Glaubens Zurücksetzungen erleidet, auch nicht die Kinder.

Zur Gleichberechtigung der Bürger der DDR, ungeachtet ihrer Weltanschauung und religiösen Bindungen, wird in den nächsten Tagen ein Material an die Grundorganisationen gehen. Es ist zweckmäßig, in konstruktivem Sinne unseren Einfluß auf der Grundlage des humanistischen Anliegens des Sozialismus in den Kirchenleitungen, bei Pfarrern, Mitarbeitern und in den Gemeinschaften der Evangelischen Kirche zu vertiefen.

E. Honecker