Lausitzer Rundschau, 12. Dezember 2002,
Regional Senftenberg/Lauchhammer


Diktatoren-Handlanger
oder Denker?


Hitzige Debatte über Marx und Engels am Senftenberger Gymnasium


Waren Marx und Engels die theoretischen Wegbereiter späterer Verbrechen und damit laut "Schwarzbuch des Kommunismus" indirekt verantwortlich für den gewaltsamen Tod von bis zu 100 Millionen Menschen? Oder waren und sind sie große deutsche Denker, die den Kapitalismus als menschenverachtend gebrandmarkt haben und denen eine klassenlose Gesellschaft ohne Arm und Reich vorschwebte?
Senftenberg.


Von Manfred Feller

Die Meinungen dazu konnten Dienstagabend am Gymnasium während einer Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung nicht heftiger aufeinander prallen.

Auf der einen Seite der in München geborene ehemalige Universitätsprofessor Dr. Konrad Löw, der mit einem Bombardement von Zitaten aus der 42 Bände umfassenden Marx-Engels-Gesamtausgabe die revolutionäre Skrupellosigkeit der beiden Herren bloß zu stellen versuchte und dafür auch Beifall erhielt.

Auf der anderen Seite Schüler der Sekundarstufe II, Lehrer und einzelne Gäste, die die Entscheidung für den Namen Friedrich-Engels-Gymnasium vehement verteidigten und stellenweise tosenden Applaus ernteten.

Zu dem Vortrags- und Gesprächsabend war es gekommen, weil sich einige Eltern, die für ihr Anliegen auch Unterschriften gesammelt haben, von der Entscheidung der Schulkonferenz, den Namen Engels tragen zu wollen, überfahren fühlen. Sie wollten insbesondere den Schülern die andere Seite von Marx und Engels nahe bringen. Sie stießen dabei offensichtlich bei einigen auf wenig Gegenliebe. Ein Vater, Engels-Anti-Aktivist, berichtete, dass die Verteiler der sicher provokanten Einladung zum vorgestrigen Abend ( "Freiheit statt Sozialismus, deshalb No (A)Engels " ) vom Schulpersonal in der Harbigstraße angegangen worden sind. In einzelnen Klassen soll anschließend eine Lehrstunde in Sachen Marx und Engels abgehalten worden sein.

Eine Schülerin warf in die abendliche Diskussion ein, dass der Name auf demokratischem Wege bestimmt worden sei. Die opponierenden Eltern bestreiten dies. Auch wenn sich viele Schüler nicht an der Vorabstimmung beteiligt hätten, was deren Sprecher am Abend bestätigten, habe sich die votierende Mehrheit, wohl 90 Prozent, für "Freidenker " ausgesprochen. Da die Ziele der Freidenker umstritten seien, wurde der Name verworfen. Die Elternvertreter sollen ohne Votum der Elternschaft und damit ohne einen Favoriten in die beschließende Konferenz gegangen sein, wo von Lehrerseite dann Engels ins Gespräch gebracht worden sei. Auf ihn habe man sich schließlich mehrheitlich geeinigt.

Prof. Dr. Löw versuchte mit den Zitaten aus den Schriften von Marx und Engels und deren Briefwechsel, deren kompromittierender Inhalt vor der Veröffentlichung teilweise vernichtet, korrigiert und beschönigt worden sei, die wahre Denkweise der beiden Herren aufzuzeigen. Die Palette der von Löw gelieferten Zitatbeweise reichte vom scharfen Antisemitismus über die Gewaltanwendung zum Erreichen der revolutionären Ziele bis hin zu Hass, Rache und Rücksichtslosigkeit. Ob Diktatoren oder RAF-Terroristen ­ viele hätten sich in der Zeit danach auf die Handlungsempfehlungen der Klassiker berufen.

Prof. Dr. Löw musste sich vorwerfen lassen, das Zitierte herausgelöst betrachtet, nicht die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse und deren sprachlichen Zeitgeist betrachtet zu haben. Und auch, dass sich in einem "Schwarzbuch des Kapitalismus " ähnlich viele Verbrechen finden würden. Kommunismus àla Marx und Engels habe es nie gegeben, sagte ein Schüler, lediglich die Auslegungen verrückter Diktatoren.

Die Fronten blieben während der sehr emotional geführten Diskussion, die für den Außenstehenden zeitweise beängstigend war, verhärtet. Dennoch wurden vereinzelt gegenseitige Gesprächsangebote angenommen. Auf Antrag zweier Fraktionen soll der Kreistag heute über die Rücknahme des September-Beschlusses zur Namensgebung befinden.

 

 

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