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Rezension im
Deutschland Archiv 6/2001, pp. 1074,
(mit freundlicher Genehmigung von Redaktion und Autor): Hochtechnologien und Staatssicherheit
Die Abteilungen 5 und 8 der
HA XVIII des MfS
Gerhard Barkleit, Dresden
Reinhard Buthmann:
Hochtechnologien und Staatssicherheit Die strukturelle Verankerung des MIS in Wissenschaft
und Forschung der DDR (Analysen und Berichte, Reihe B, 112000 der Abteilung Bildung und
Forschung beim BSTU), Berlin 2000, 311 Seiten, 10 DM.
Die politische Führung der DDR
betrachtete den technischen Fortschritt nicht nur als Motor gesetzmäßig ablaufender
gesellschaftlicher Veränderungen, sondern vor allem auch als ausschlaggebenden Faktor im
Wettstreit der Systeme. Die lnnovationsfähigkeit der zentralistischen Kommandowirtschaft
nach sowjetischem Muster entsprach aber weder den hoch gespannten Fortschrittserwartungen
noch den politischen Träumen von einem Sieg des Ostblocks im Kalten Krieg. Besonders
drastisch wirkte sich die lnnovationsschwäche im Bereich der Hochtechnologien aus. Das
Embargo des Westens und die mangelnde Kooperationsfähigkeit bzw. der fehlende Wille zur
Kooperation innerhalb des RGW, zugespitzt als Kooperationsverweigerung des Ostens zu
charakterisieren, setzten Rahmenbedingungen, unter denen die DDR im Hochtechnologiesektor
zwar niemals das von der Propaganda der Staatspartei reklamierte technologische
»Weltniveau« erreichte, der Staatssicherheitsdienst jedoch maßgeblichen Einfluss auf
Forschung und Entwicklung sowie auf ganze Industriezweige erlangte. Mit der strukturellen
Verankerung des MfS in Wissenschaft und Forschung der DDR und dem darauf gründenden
Einfluss auf die Entwicklung und Implementierung von Hochtechnologien beschäftigt sich
Reinhard Buthmann.
Im Mittelpunkt des ersten
Kapitels stehen Entwicklung, Aufgaben und Verantwortungsbereiche der Abteilungen 5
(Wissenschaft und Technik) und 8 (Elektrotechnik und Elektronik) der für die
Volkswirtschaft zuständigen Hauptabteilung (HA) XVIII. Beide Abteilungen spielten bei der
Sicherung von Hoch- und Schlüsseltechnologien der siebziger und Achtziger Jahre eine
herausragende Rolle. Da unter »Sicherung« sowohl die Uberwachung der Beschäftigten und
die Mitwirkung bei der Selektion von Führungspersonal als auch die Beschaffung von
Embargotechnik zu verstehen ist, erlangten diese beiden Abteilungen maßgeblichen Einfluss
auf die lnnovationsprozesse im Hochtechnologiebereich. Die MfS-Alltagsarbeit in den
Abteilungen 5 und 8 war »anspruchsvoll, ja interessant und spannend«. Dort
wurden die »geheimen Fäden« in der Wissenschaftsorganisation »gezogen,
zumindest aber immer kontrolliert« (S. 292).
Ein »politisch-operativer
Höhepunkt« der Abteilung 5 - zu deren Verantwortungsbereich zuletzt mehr als 100
Institutionen mit ca. 30 000 Beschäftigten gehörten, was etwa einem Anteil von 10
Prozent am gesamten Forschungspotential der DDR entsprach - war die Akademiereform von
1968. Mit diesem »idealen Gegenbeispiel für Innovationskultur und -organisation«
(S. 24) übernahm die SED endgültig die Macht in der »Gelehrtenrepublik«. In den
Achtziger Jahren vollzog die Abteilung einen Orientierungswandel. Das bislang dominierende
Interesse an politisch-ideologischen Abweichungen ging zugunsten der Bearbeitung von
Geheimnisschutzverfehlungen zurück.
Zum Verantwortungsbereich der
Abteilung 8 gehörten etwa 25 Prozent des Forschungs- und Entwicklungspotentials der DDR.
Ein Schwerpunkt lag in der Mitwirkung bei der Beschaffung von »immateriellen und
materiellen Gütern« für die Mikroelektronik, die zumeist »unter strengstem
Embargo standen«. Aber auch die zwei Jahrzehnte währende Überwachung und
demütigende Behandlung des Begründers der industriellen Entwicklung der Mikroelektro-
nik in der DDR, Werner Hartmann, ist ein Kapitel der Geschichte dieser Abteilung.
Das zweite Kapitel hat »Die
Grundlagen des Sicherungsauftrages« zum Inhalt. Neben den »rechtlichen und
methodischen Grundlagen« geht Buthmann ausführlich auf den »gigantischen
Aufschwung« des Geheimnisschutzes in den Achtziger Jahren ein und zeigt, dass
Sicherheitsüberprüfungen zunehmend ein Mittel zur Personalselektion wurden. Hier kommt
der Autor zu drastischen Urteilen, etwa wenn er hinsichtlich der volkswirtschaftlichen
Organisationskultur die DDR mit einem »Irrenhaus« vergleicht (S. 118). In dem
Abschnitt »Praxis der Verortung« werden die Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) der
Abteilungen 5 und 8 anhand der Kriterien Einsatzort, Intensität der konspirativen
Tätigkeit sowie Lebens- und »Dienstalter« analysiert, die Installation von IM in
Schlüsselpositionen beispielhaft beschrieben und die Einsatzorte der Offiziere im
besonderen Einsatz (OibE) aufgelistet. 1989 waren es 15 für die Abteilung 5 und 9 für
die Abteilung 8, darunter je zwei Frauen. Ausführlich beschreibt Buthmann das System der
Sicherheitsbeauftragten, dessen Aufbau aufgrund einer Verfügung des Ministerrates vom 14.
Juli 1966 einsetzte. In der Regel handelte es sich bei den Sicherheitsbeauftragten um OibE
mit spezifischen Kompetenzen auf dem weit gefassten Gebiet von Sicherheit und Ordnung.
Auch die Kooperation zwischen beiden Abteilungen sowie mit anderen Diensteinheiten des MfS
und dem Komitee für Staatssicherheit der UdSSR bleibt nicht unerwähnt. Bis zum
Zusammenbruch der DDR habe es »Objekte des gemeinsamen Interesses« mit der
Verwaltung des »Bruderorgans« gegeben, schreibt Buthmann und nennt als Beispiel
die Geschäfte mit der Firma Leybold, die in großem Stil gegen die Embargobestimmungen
verstieß. Den Schluss dieses Kapitels bildet das vielschichtige Verhältnis von MfS, SED
und staatlichen Institutionen, das in einem Organigramm anschaulich gemacht wird.
Hochrangige
Wissenschaftsfunktionäre, wie das Ehrenmitglied des Forschungsrates Robert Rompe, der
Generalsekretär der Akademie der Wissenschaften Claus Grote und der Direktor des
Zentralinstituts für Kybernetik und Informationsprozesse Volker Kempe verkörperten
idealtypisch die »Trias von SED-, Staats- und MfS- Interessen« (S. 174). Es gab
aber nicht nur Kooperation, sondern auch Konflikte - innerhalb des MfS sowie zwischen
Sicherheitsbeauftragten und der Betriebsleitung.
Im dritten Kapitel beschäftigt
sich der Autor mit der »Realisierung des Sicherungsauftrages«. Neben dem
Problem von »Akzeptanz und Kompetenz des MfS« beleuchtet er an markanten
Beispielen die Situation von »Wissenschaft und Technik in der Zwangsjacke von
Sicherungskonzeptionen«. Buthmann spannt einen Bogen von der Mikroelektronik über
Biotechnologien und Kosmosforschung bis hin zur Kernforschung und geht auch auf »spezifische
Sicherungsaufgaben des MfS« ein. Dazu gehörten insbesondere die Forschung im
Auftrag des MfS und die »Sicherung« der Landesverteidigung. Den Mitarbeitern der
Abteilungen 5 und 8 attestiert der Autor hohe fachliche Kompetenz, die im Falle der
Abteilung 5 mit einer abnehmenden »tschekistischen« einherging, so dass sie Ende der
Achtziger Jahre »mehr Kollege der staatlichen Leitung« denn »politische
Polizei« gewesen sei (S. 186). Die stereotype Behauptung des MfS, die
Volkswirtschaft gegen Angriffe westlicher Geheimdienste schützen zu müssen, kann er
durch den Nachweis relativieren, dass es in den allermeisten Fällen trotz nahezu
unglaublichen Aufwandes nicht gelang, Spionage wirklich nachzuweisen. Die
Ausdifferenzierung der »Zwangsjacke von Sicherungskonzeptionen« stellt er am
Beispiel des Rüs- tungssektors des Kombinates Carl Zeiss Jena dar.
Breiten Raum nimmt weiterhin
die »Sicherung« der sowohl unter zivilen als auch militärischen Gesichtpunkten
wichtigen Hochtechnologien ein. Das betrifft den »Megabit-Wahn Honeckers«
ebenso wie den »geplatzten Traum von einem Anti-SDI-System«. Unter dem
Stichwort »MfS-Auftragsforschung« erwähnt der Autor zwei Vereinbarungen
zwischen dem MfS und staatlichen Organisationen, dem Amt für Erfindungs- und Patentwesen
sowie der Akadenme der Wissenschaften. Die erste stammt aus dem Jahre 1970, die zweite aus
dem Jahre 1989. Geschlossene Bereiche, in denen im Auftrag des MfS geforscht wurde,
existierten im Institut für Nachrichtentechnik Berlin, dem Zentralinstitut für
Kybernetik und Informationsprozesse sowie im Betriebsteil Rahnsdorf des Zentrums für
wissenschaftlichen Gerätebau der Akademie der Wissenschaften der DDR.
Entwicklungsaufträge des MfS wurden aber auch im Kombinat Carl Zeiss Jena bearbeitet. Mit
der »Sicherung« der Rüstungsproduktion beschäftigte sich das MfS zwar bereits zu
Beginn der sechziger Jahre, doch besaßen diese Aufgaben zunächst nur geringen
Stellenwert. Das sollte sich 1970 ändern, als die strategischen Aufgaben der
Landesverteidigung innerhalb der wissenschaftlich - technischen Aufklärung höchste
Priorität erhielten. Zugleich stieg der Anteil so genannter LVO - Vorhaben, deren
chiffrierte Abkürzung sich aus der »Verordnung über Lieferungen und Leistungen an die
bewaffneten Organe« herleitet.
Im vierten Kapitel wendet sich
der Autor dem spektakulären und in den Medien stark beachteten Thema des illegalen
Technologietransfers zu, mit dem sich bekanntlich auch die Gerichte beschäftigt haben. »Störfreimachung«
und ille- galen Technologietransfer definiert er als »integralen Bestandteil der
SED-Wirtschaftspolitik«. Neben der Rekonstruktion von Beschaffungslinien des
materiellen und immateriellen Technologietransfers sind Buthmanns Bemühungen um eine
Abschätzung des finanziellen Umfangs der getätigten Geschäfte hervorzuheben. Danach
sollte allein der Handelsbereich 4, dessen Stellung im System der Beschaffung aus einem
Organigramm zur Organisationsstruktur ersichtlich wird, in den letzten beiden Jahren der
Existenz der DDR jährlich für etwa eine Milliarde Valutamark illegale Importe getätigt
habee.
Zum Schluss stellt Buthmann
fest, dass die beiden Diensteinheiten aufgrund ihrer zunehmenden Diffusion in das System
»Wissenschaft« bei der Erfüllung ihrer genuinen Aufgaben, nämlich der Aufdeckung von
Spionagetätigkeit, »versagen mussten« (S. 289). Damit unterstellt er, dass es
im Bereich der Hochtechnologie tatsächlich Spionage westlicher Geheimdienste in
erheblichem Umfang gegeben hat. Die nicht eben wenigen Beispiele nicht bestätigten
Spionageverdachtes in diesem Band lassen jedoch eher das Gegenteil vermuten.
Die Publikation ist keine
leichte Kost, denn der Autor geht, und das nicht nur gelegentlich, weit über das von ihm
selbst als »nicht unbescheidenes Ziel« bezeichnete Anliegen hinaus, eine
Grundorientierung für »künftige deskriptive Studien zur Wirkungsgeschichte des MfS
im Bereich von Wissenschaft, Technik und Technologie« zu liefern. Die detaillierte
Rekonstruktion der Geschichte der Abteilungen 5 und 8 der für die Volkswirtschaft
zuständigen HA XVIII weist ihn als profunden Kenner der relevanten Akten des Archivs
seiner Behörde und peniblen Rechercheur aus. Buthmann geizt nicht mit Kommentaren und
Wertungen. Vor allem letztere weisen auf die Fachkompetenz des Insiders hin, der im
sensiblen Bereich der Kosmosforschung tätig war. Das Buch bietet dem aufmerksamen Leser
eine Fülle von Anregungen und Denkanstößen. So manche These fordert allerdings den
Widerspruch geradezu heraus. Dazu gehört die bereits in der Einleitung formulierte
Behauptung, das lnnovationsdilemma der DDR sei wesentlich in der »faktischen Unmündigkeit
der Wissenschaftler und Wissenschaftsmanager« begründet (S. 4), an der selbstredend
das MfS alles andere als unschuldig gewesen ist. Am Ende seines Buches kommt er noch
einmal auf die Innovationsschwäche der DDR zurück. Das MfS habe durch seine
Beschaffungsaktivitäten im Hochtechnologiebereich die Existenz der DDR keineswegs
verlängert, bilanziert er, sondern »die Entwicklung von innovativen Eigenpotentialen
erschwert« (S. 287). Unbestritten reduzierte der »beträchtliche Schatten«,
den das MfS kraft seiner »legal-faktischen Wirkungsmacht« auf hervorragende
Wissenschaftler und Wissenschaftsmanager warf, die »ohnehin geringen
Innovationspotentiale, die aus der indoktrinierten Wissenschaft und Forschung hätten
erwachsen können« (S. 290). Bei allen Schwierigkeiten jedoch, das komplexe
Phänomen dieser »ohnehin geringen Innovationspotentiale« zu erfassen,
insbesondere einzelne Faktoren gegeneinander abzuwägen, kann die in dieser These zum
Ausdruck kommende Überbewertung subjektiver Elemente nicht unwidersprochen bleiben.
Nicht nur für eine künftige
Wirkungsgeschichte des MfS, wie es der Autor zurückhaltend ausdrückt, sondern auch für
die noch zu schreibende Geschichte der Hochtechnologien in der DDR ist diese
quellengesättigte Darstellung ein gewichtiger Beitrag. Die zahlreichen Tabellen enthalten
umfangreiches statistisches Material, zehn Organigramme ermöglichen eine Übersicht über
komplexe Zusammenhänge. Das Fehlen eines Literaturverzeichnisses erscheint bei dieser
nahezu ausschließlich aus den Quellen gearbeiteten Darstellung keineswegs als Mangel. |
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